(gedruckt in der Literaturzeitschrift [um]laut / Ausgabe #juli 2009)
Laute klingen aus der geöffneten Kiste, sind geduldig mit Schlitz für die Münze, darin eine Schachtel in der nächsten, kleiner werdend, bis sich das Geheimnis offenbart. Bis dahin ist noch Zeit. Noch laufen wir gemächlich unter der Last aus Beton. Grenzen, als Strich über die Straßen der Welt gezogen und zu weißem Staub zerfallen. Hier stehen wir, die Hand des Kindes fest umklammert: Führe mich, Kleiner, bis die Ampel auf Grün schaltet.
Über gestreifte Flächen klirren unsere Gedanken, dass wir den dünnen Laut von unten kaum vernehmen. Dort dreht sich die Welt noch langsamer, alles ist Erkennen und Entdecken, wie Columbus Amerika, als Herr Colon sich müde aus seinem Sessel erhebt und einfach aufbricht, um zu sehen, wo er landet, und die Reise im Garten endet, weil das Gatter verschlossen ist. Auch wir gehen diese Wege, denn auf dem Rasen steht das Schild: Betreten verboten! Vorboten. Vorbeten. Verbeten. Verbieten. Wir landen im gleichen Sündenpool der Paradiese. Das Springbrett federt aus dem Knarren der Mägen, und auf Wasser schwimmt bunt der Ball. Idyllen.
Vorsicht Hund! heißt es auf dem Spielplatz, und das Kind weint im Vorwurf, weil wir es weiterzerren. Besorgnis muss gelernt werden, eingebläut durch den mahnenden Zeigefinder der Aufgeklärten, diese Kenner der Kenntnis ohne Erkenntnis. Weint Rotz und Wasser, weil die Schaukel nur durch den Wind bewegt wird.
Einige Schritte weiter grasen auf Wiesen ein paar Kühe. Trost. Lachende Augen vor malmenen Mäulern. Riesige Zungen, die rau über Handrücken reißen. Noch weiß es nichts vom Gemetzel dahinter, kennt nur die Wurst mit dem lustigen Teddygesicht. Doch auch uns kommt das große Würgen. Die Dimensionen haben sich geweitet. Fleisch wird ausgerollt, Metergroße Flächen. Wir schaffen die größte Roulade der Welt, rollen darin Menschen, Augen, Zwiebeln, Städte. Übersatt reiben sich Hände über dem toten Viech, aus dem Knochen für Knochen das Sein entwirrt wird. Statt zu fressen, wird sich überfressen. Der Rest landet auf dem Müll. Das Tier wird mit Senf gefüttert, bis es in Massenproduktionen am Hakenkreuz der Kühlräume hängt, mit dem Kopf nach unten, und bratenreif auf unseren Tellern landet.
Wie schleppen Bäuche, Denken, Blindheit zu den Lastenaufzügen, und in unseren Koffern tragen wir unsere Kinder über die Kacheln, damit sie die Kälte nicht spüren. Mit dem Daumen im Mund sehnen wir uns nach Geheimtüren, wo doch alles offen liegt, während wir uns in den Städten voller Wölfe verirren, die an langen Leinen an den Rändern der Straße lauern, dressiert und gewarnt vor dem Angriff der Schafe. Was wollen wir uns vormachen? Auf zwei Quadratmetern hält man zusammen, das Kind dazwischen, um Liebe darauf zu projizieren, wenn es im Zwischenmenschlichen nicht genügt, sich gegenseitig ins Gesicht zu atmen. Aus dem Inneren in die Welt dringt der Fluch auf die Dinge, die wir in tickenden Geräuschen in Gang bringen. Das Kissen dagegen geworfen, wenn der Morgen röhrt, fliegt der Wecker gegen die Wand, als trüge er Schuld an diesem Dilemma der grau verwesenden Rufe vom hinteren Ende der Stadt, die täglich verlangen, täglich erwarten, die etwas von diesem geballten Klumpen zerrinnen lassen, der uns tief und fest im Hals sitzt und stets unruhig schlafen lässt, der früher nicht da war, sich erst langsam aus dem trägen Schleim der Zeit gebildet hat. Hier kehrt leise die Erinnerung zurück, einst, als man selbst hinauf blickte und noch alles glaubte, als der Duft aus Küchen Wärme vermittelte und ein Versprechen ein Versprechen war, wie ein Gesetz der Vorfreude, bis die Wirklichkeit mit lautem Echo in das ahnungslose Gesicht klatschte, weil irgendjemand es für richtig hielt, den Koffer zu öffnen.
© Annelie Jagenholz