Teil 3
Unterwegs nach Puschkin (Zarskoje Selo)
7.
(Puschkindenkmal in... nun ja... Puschkin.)
Bin im Elysium ich des Nordens, Im Park von Zarskoje Selo, Wo, Sieger ob dem Leun, voll Kraft, nur müd des Mordens, Der Reußen Aar schlief, friedenfroh? Fern, fern ist jene Zeit erhabenen Heldentumes, Wo, unterm Zepterschutz der kaiserlichen Frau, Ganz Russland trug den Kranz der Ehren und des Ruhmes, Und Segen flog von Gau zu Gau.
Ach, alles weckt mit Kummermiene Erinnerungen alter Zeit. "Das Große liegt gestürzt, denn tot ist Katharine!" Seufzt jedes Reußen Herzeleid. Er sitzt ins Ufergrün im Bann des Sinnens nieder, Die Lippe spricht kein Wort, den Winden lauscht sein Ohr, Vor seinem Blick erstehn geschwundne Jahre wieder, Sein Geist schwingt selig sich empor.
(Puschkin - Erinnerungen an Zarskoje Selo/1814 (Auszug))
Puschkin ist eine Stadt etwas außerhalb von St. Petersburg, wo man das berühmte Bernsteinzimmer im Katharinenpalast betrachten kann und wo Puschkin selbst das Lyzeum besucht hat. Die Stadt hieß früher Zarskoje Selo, wurde zu Puschkins 100. Geburtstag umbenannt. Das war am 10. Februar 1937 und etliche Umbenennungen nahmen ihren Lauf. Das Puschkin-Jubiläum wurde zu einer reinen Staatsangelegenheit. Der damals neu auferstandene Puschkin, der Stalins Russland als neues patriotisches Idol galt, der in neuen Literaturausgaben, neuen Straßen- und Stadtnamen, in neuen Denkmälern zu bewundern war, verdeckte eigentlich nur die Verhaftungen und Verurteilungen etlicher Menschen und bestärkte den Stolz des Volkes auf Land und Partei. Puschkin und die Schauprozesse, die mächtigen Aufmärsche auf dem Roten Platz in Moskau und der durch Kunst, Politik und Machtinteressen gelenkte Jubel der Menge haben in Zarskoje Selo natürlich nichts zu suchen. Zumindest heute nicht mehr.
Dort ist auch Anna Achmatowa aufgewachsen, doch natürlich vermittelt der Ort eine Ahnung an ganz andere Zeiten. Die Zarenfamilie verbeugt sich in aller Erhabenheit und jenem feinen Gespür für die Verherrlichung ihres Daseins, dem sie auch durch ihre Residenzen Ausdruck verliehen.
Die heutige Stadt Puschkin wird sich kaum von der damaligen unterscheiden, sie wirkt noch heute wie in Büchern beschrieben, wie eine Märchenstadt mit unechten Kulissen, niedrigen Häuschen, Baum umringt, mit kleinen Straßen, Blaskapellen, Souvenirläden und schließlich prachtvollen Palästen.
Der Katharinenpalast wurde im zweiten Weltkrieg völlig zerstört, darum originalgetreu wieder nachgebaut. Schimmernde goldene Türmchen, Verzierungen und Spielereien, ein riesiger Schlosspark, die dreihundert Meter lange, barocke Fassade mit rhythmisch gegliederten weißen Säulen, vergoldeten Atlanten, Skulpturen, die mythologische Figuren, Dichter und Denker darstellen, und Fensterrahmen auf hellblauem Grund verschlugen einem regelrecht den Atem, und vor dem Eingang geduldete sich natürlich, wie erwartet, eine lange Schlange an Menschen.
(Puschkin – der Katharinenpalast, darin das Bernsteinzimmer, das man leider nicht fotografieren durfte.)
Hier stand auch ich, die Sonne schien mir ins Gesicht, ich bewunderte die Architektur und blickte mich hin und wieder um, wenn Jubelschreie ertönten, weil ein Brautpaar sich auf den Stufen fotografieren ließ und dann mit Sekt auf das freudige Ereignis anstieß. Geschmackvolle Hochzeitskleider, wunderschöne Frauen, manchmal noch unglaublich jung, denen das Glück dieses Tages ins Gesicht geschrieben stand. Ich klatschte mit ihnen und winkte, wenn sie die Arme hoben.
Aus Langweile zog ich irgendwann mit dem Fuß vor mir einen langen Strich in den Sand. Er bildete somit die Startlinie, von der aus ich bald voranrücken würde, sobald die Schlange sich vor mir verkleinerte.
Ich sah, dass der Eingang von vier „Wächtern“ bewacht wurde, und alle zehn Minuten eine geringe Anzahl der Meute einließ. Ab und an kamen lärmende Reisegruppen an der Schlange vorbeimarschiert, wurden von neidvollen Blicken begleitet und an einer anderen Glastür sofort eingelassen. Die Busfahrt samt Führung hatte ich eigentlich auch in diesem Sinne geplant, bereits das Geld bezahlt, was mir viel Warterei erspart hätte, doch als ich am nächsten Tag meine Karte vorlegte, teilte mir die Mitarbeiterin des Busunternehmens mit, dass mangels genügend Leuten die Fahrt abgesagt war. Immerhin bekam ich wenigstens mein Geld zurück, was ja nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist.
Während die Minuten in Zehnerschritten verflogen, mein Blick über Köpfe, Parkanlage, Statuen, die verzierten Fenster streifte, die Schlange hinter mir immer länger wurde, kleine Gruppen der Anstehenden nach und nach weiter eingelassen wurden, mehrere Wartende sich in das Gras vor dem Palast legten, bis sie wieder hochgescheucht wurden – das Betreten des Rasens war verboten - sah ich erneut auf meine Füße und musste feststellen, dass ich keinen einzigen Schritt vorangekommen war. Die Linie lag noch unberührt und unüberschritten vor meinen Schuhen.
Das Bernsteinzimmer habe ich dann natürlich doch noch irgendwann in aller Ruhe auf mich wirken lassen. 1716 schenkte es der preußische König Friedrich Wilhelm I. Peter dem Ersten, der sich mit einem kleinen, in Petersburg gebauten Schiff, fünfundfünfzig Grenadiere, einer Dreh-Werkbank und einem eigenhändig aus Elfenbein hergestelltem Trinkpokal revanchierte.
Als der zweite Weltkrieg ausbrach, wurde aus dem Palast etliches evakuiert, jedoch schaffte man es nicht mehr, auch die Wandtafeln des Bernsteinszimmers rechtzeitig zu entfernen, so wurden sie lediglich mit Tapeten überdeckt. Die Wehrmacht besetzte den Palast, demontierte das gesamte Zimmer, verpackte es in siebenundzwanzig Kisten und transportierte es nach Königsberg.
Seit 1945 gilt das Bernsteinzimmer als verschollen, lediglich drei verbrannte Fragmente der florentinischen Mosaike, einen „Turm Möbel“ und eine Kommode wurden wiedergefunden und an Russland zurückerstattet, und dann begann die langwierige Rekonstruktion. 1999 erhielt das Museum auch das florentinische Mosaik „Tastsinn und Geruchsinn“ zurück, das vermutlich vor der Demontage der Tafeln gestohlen worden war.
Das Zimmer wirkte sogar über sich selbst hinaus bis hinein in die Literatur, denn die Basis der Arbeit am neuen Bernsteinzimmer lieferten ausgerechnet alte Fotografien des Schriftstellers Theophile Gautier aus dem Jahre 1859.
Betritt man den Palast, fühlt man sich geblendet, schreitet über Treppen, Marmor, an Ornamenten und Spiegeln vorbei, unter mächtigen Decken und Deckenmalereien dahin. Der Palast wurde Katharina der Ersten geschenkt, Elisabeth die Erste passte ihn dem vorherrschenden Zeitgeschmack an und auch Katharina die Zweite lebte regelmäßig in Zarskoje Selo und ordnete wiederum neue Umbauten an. Sie alle hinterließen ihre Spuren und Geschmäcker, danach folgten auch noch die von Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Zweiten.
Raum an Raum gereiht, darin verzierte, blauweiße Öfen, geschritten durch verschiedene Speisezimmer, einem Porträtsaal, einem Gemäldesaal, wo auch immer man eintritt, verliert man sich. Gerade im Gemäldesaal als eine unfassbar barocke Hängung büßt man fast den Verstand ein.
So kann man unter anderem ein Kleid aus Papier bewundern, das Letztere einst getragen hat, einige Salons und Esszimmer, wie natürlich auch die gesamte Zarenfamilie auf großformatigen Gemälden.
Das Bersteinzimmer selbst ist eine detailgetreue Nachbildung des ursprünglichen Zimmers. Lediglich jenes eine Mosaik ist noch im Original erhalten. Und selbstverständlich ist darin wirklich alles aus Bernstein. Die Wände, Sockel, Säulen, Mosaiks, Ornamente und insbesondere mehrere Gemälde, die aus Edelstein und Bernsteinplättchen ein Motiv ergeben. In den Fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts fertigte der Steinmetz L. Siries nach Skizzen des Künstlers Zocchi in Florenz Mosaike mit den Themen der fünf Sinne an. Diese Mosaiken wurden statt Gemälde in die Bernsteinrahmen gefasst. Neben „Tastsinn und Geruchssinn“ an der Südwand, findet man „Geschmackssinn“ an der Ostwand und „Sehsinn“ an der Nordwand. Die Details sind unglaublich fein gearbeitet, unter durchsichtigem Bernstein liegen Zeichnungen, die durch den Stein durchschimmern. Gesichter, Figuren und Mosaik zeugen von der enormen künstlerischen Arbeit, die hier geleistet wurde. Fotografiert werden durfte nicht, das Herantreten war strengstens verboten. Das übliche Seil trennte den Betrachter von der Herrlichkeit solch wertvoller Kunst. Gruppe für Gruppe wird durch den Palast geführt, während unsere Führerin die Geschichte der einzelnen Räume erzählte, erklang bereits die sonore Stimme der nächsten.
Als ich wieder an die frische Luft trat, schwirrte mir der Kopf. Für den Alexanderpalast reichte die Zeit nicht mehr, was mich aber kaum belastete. Durch den Park schlenderte ich Richtung Ausgang und spürte, wie sich der Kopf allmählich leerte.
Sich auszumalen, in solchem Luxus zu leben oder wie überhaupt so leben, das übertraf all meine Vorstellungen. Aus Filmen und Fotografien kann man in etwa nachvollziehen, wie die Zarenfamilie sich präsentierte, speiste, sich langweilte, vergnügte, doch für mich, müsste ich tagtäglich diese Räume durchschreiten, würde es wohl im Bernsteinzimmer enden, als eine ewige Betrachtung in Form und Kunst gemeißelten Prunks feinster Genialität.
8.
Der klaftertiefen Metro entstiegen, stehe ich gleich darauf auf dem Newski Prospekt und begaffe diesen in der Literatur so häufig beschriebenen Platz.Hier ist alles gemacht und gepflegt, restauriert und für das Auge bereinigt. Man gerät fast zugleich in den Strom der Menge, der zügig voranrückt.
(Nähe Metro, Newski Prospekt)
Schräg vor mir ist das Dom Kniga, ein übergroßes, uraltes Büchergeschäft, einst das Gebäude der Firma „Singer“, das auch in der Nähe (doch was ist hier schon Nähe bei dieser Gewaltigkeit der Stadt) des „Philosophenschiffs“ liegt, dem berüchtigten und von Gorki ins Leben gerufenen „Haus der Künste“, ein Labyrinth an verschachtelten Zimmern, in denen verschiedene Künstler und Literaten in den Zwanzigern gegen Hunger, Kälte und Wasserknappheit kämpften und auch ihr Leben ließen. Dort entstand die Künstlergruppe der Serapionsbrüder, dort lebten Dichter und Schriftsteller wie Mandelstam, Grin, Samjatin.
Blickt man nach rechts, sieht man die Blutskirche in ihrem ganzen Glanz, ein Ort, wo das Attentat auf den Zaren verübt wurde, so dass als Dank für sein Überleben die Kirche errichtet wurde. Innen sind unzählige, kunstvolle Mosaike, die sich über alle Wände und Höhen und Decken erstrecken. Prachtvoll und gleichzeitig so modern bunt, da alle Farben und Zerstörungen wieder restauriert und ausgebessert wurden. Auf Fotografien kann man die Kriegshinterlassenschaft betrachten, als diese Kirche fast in ihren Ruinen lag. Die Fliesen zertrümmert, Holzbalken, die kreuz und quer über dem Boden im völligen Durcheinander liegen. Zerschmetterte Fenster. Oh schönste Glas- und Glaubenskunst. Eine Bombe, die nicht hochgegangen ist, die als zerfressenes Metall von Staub bedeckt aus dem Stein ragt. Trifft man auf derartige Geschichtsprozesse der Zerstörung, schüttelt man traurig den Kopf ob des Verlustes an Menschenleben, Kunst, Literatur und Architektur, betrachtet schwarzweiße Fotografien an Trümmern und Gänge, die kaum dem heutigen Vergleich standhalten und muss gleichzeitig (und mit einem Anflug an Erleichterung) an Moskau denken, wo etliche Kirchen ganz und gar abgerissen und gesprengt wurden, weil Stalin sein „neues Moskau“ errichten wollte, dass Kunstwerke und Architektur massigen Riesenkomplexen weichen mussten, als Sinnbild des „neuen Glaubens“. Die einstigen Schäden sind nun nicht mehr zu erkennen. Nur mitten in dieser bunten Vielfalt der Heiligenbilder sieht man ein abgezäuntes Stück Straßenpflaster, welches natürlich genau dem Fleck entspricht, wo der Zar in seinem Blut lag. Die Kirche wurde, irgendwie makaber, um diese Fast-Todesstelle herum errichtet, gespendet durch den Dankbaren für Gott und Mensch.
(Ansicht Blutskirche, direkt am Newski Prospekt, in der Nähe der Metro)
(Innen, die Mosaike)
Von hier aus treibt es mich natürlich sofort zur Eremitage. Man läuft eine Weile und biegt dann rechts ab, gerät in einen Innenhof und durch eine Art Triumphbogen (siehe Bild 2) auf den Vorplatz des Winterpalastes.
(Bild 1 – Vorplatz mit Blick auf die Eremitage)
(Bild 2 – Gang durch den Triumphbogen) (Bild 3 – Vorplatz zur Eremitage)
Direkt in exakter Achse zum Triumphbogen, sobald man ihn durchschritten hat, erhebt sich die Alexandersäule, wie man es in vielen, weltweiten Städten beobachten kann. Erblickt man einen Triumphbogen, ein Tor oder ähnliches, ist nicht weit davon entfernt ein Obelisk oder eine sehr hohe Säule zu finden.
Tiefgreifende Symbolik von männlich-weiblichem Charakter mit gegensätzlich aufeinander wirkenden Energien eines, wollte man den leicht abweichenden Vergleich dennoch wagen, Yin und Yang Verhaltens.
Die Alexandersäule schmückt genau in der Mitte den Vorplatz des Winterpalastes, wurde nach dem Sieg der Russen gegen das napoleonische Frankreich erbaut. Ein Meisterwerk der Architektur, wie so vieles in dieser Stadt. Auf der Säule befindet sich ein Engel, der Züge von Alexander dem Ersten trägt und ein Kreuz zum Himmel erhebt. Fast wäre aus dem reinen Engelsgesicht zu gewissen Zeiten das Stalins geworden, zum Glück kamen diese Pläne nie zur Durchführung.
Ich habe ein erstaunliches Glück, da in der Eremitage gerade eine Picasso-Ausstellung stattfindet, die sich über mehrere Ebenen und Räume erstreckt. Wenn z. B. im Ludwig Museum oder noch besser (ist natürlich kein wirklicher Vergleich) im Wallraf-Richartz-Museum eine Ausstellung der Impressionisten stattfindet, dann werden die im festen Bestand enthaltenen Bilder nach unten in die Ausstellung geholt. Die St. Petersburger haben das nicht nötig. Während die Picassobilder an etlichen Wänden, in mehreren Räumen hängen, darunter die blaue Periode, das Bild seiner Frau Olga, seine kubistischen Phasen, alle Bilder von einem einzigen Sammler entliehen, so besitzt das Museum natürlich auch noch zwei weitere Räume, mit festem und unangetastetem Bildbestand, die man nach all den gekeuchten Durchgängen dann noch zusätzlich bewundern kann.
Auch er hängt hier, wie selbstverständlich, Matisse in den gewaltigen Farben seines „Tanzes“. Nun wundere ich, wie sehr sie leuchten und auch über die Größe, die mich ähnlich wie sein Bild „…“ im Centre du Pompidou in Paris bereits erstaunte.
(Matisse)
Man kann sich unter bestimmten Maßangaben dann einfach keine genaue Vorstellung machen, wenn man sich die Bilder z. B. in einem Katalog oder Buch betrachtet, und steht völlig überwältigt vor riesiger Leinwand.
Die Räume, in denen die Moderne hängt, sind eher leer. Die, die vertreten sind, findet man „raumweise“, nicht „bildweise“. Von Renoir bis Sisley, Cezanne und Gauguin.
(Raum Gauguin)
Zuvor spazierte ich durch die verschiedenen Epochen, durch russische, flämische, niederländische, spanische, italienische Kunst. Vor Ribera und Murillo fiel ich fast auf die Knie. Diese Größe und Genauigkeit. Dieses so lebendige, weiße Fleisch. Auch ein Caravaggio war zu sehen – „Der Lautenspieler“.
Manche Bilder sind so gewaltig, dass man die eigene Nichtigkeit verspürt.
(Italienische Kunst – „Der Lautenspieler“ von Caravaggio, an der Tür orientiert und auf sie geblickt, ist das untere, zweite Bild links.)
All diese Säle ließ ich nur ungern hinter mich. Auch ohne die Bilder erstrahlten sie in ihrer Prächtigkeit, mit ihren kunstvollen Decken und schönen Böden. Die alten Meister sprachen mich fast noch mehr an als die Moderne, aber vielleicht auch nur, weil die Bewunderung für diese Art der Malerei keine Grenzen hat, man auf einem Bild so viel vorfindet wie auf zehn der folgenden Perioden. Geschichten über Geschichten. Die Bibel, vor uns ausgebreitet. Menschen, so lebendig, dass sie aus dem Bild zu springen scheinen. Später, im russischen Museum, wo ich auf die russischen Realisten treffe, wird mir durch den Schädel fahren, dass, hätten diese Meister die Welt erobert, die Fotografie vielleicht bis heute noch nicht existieren würde.
Gerade treffe ich auf einen neuen Raum - ohne Plan kann man sich in der Eremitage schnell verlaufen, sie erscheint mir so groß wie der Louvre, und wenn man leicht schusselig ist, gerät der Weg auch schon einmal ins Unbekannte – auf einen Raum also, in dem nach den ganzen Rodins noch eine Fotoserie von Picasso und über Picasso hängt, die ich Bild für Bild abschreite, als auf einmal das gesamte Licht abgeschaltet wird und man regelrecht im Dunklen steht. Jedes einzelne Bild ist für sich mit kleinen Lampen ausgeleuchtet, so dass unter diesen Umständen die Bilder auf einmal völlig schwarz und unkenntlich sind. Schon schlurft aus dem Nebenraum ein Treiber (Aufseher) heran, fuchtelt mit seiner Taschenlampe und fordert alle auf, zügig die Räume Richtung Ausgang zu verlassen, da das Museum schließen würde. Es ist zehn Minuten vor der Zeit. Diese Barschheit, das Voranscheuchen, dass man sich in Finsternis vorsichtig vorantasten muss, durch die Räume läuft, ohne auch noch ein Bild im Vorbeigehen bewundern zu können, entspricht ebenso jener russischen Mentalität. Da wird nicht lange gefackelt, sondern deutlich sichtbar gemacht, dass das Museum sich mehr als genau an seine Öffnungszeiten hält. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn man aus Versehen einige Minuten länger bleibt oder sich in diesem Wert an Kunst verirrt, was bei der Anzahl der Treppen, Etagen und unzähligen Räume durchaus möglich ist. Mit dieser Methode jedenfalls können die Türen dann tatsächlich Punkt 18 Uhr verriegelt werden.
(Innenhof, wo man auch den Eingang ins Museum findet.)
(Seite der Eremitage, geradeaus geht es zur Newa.)
Auf dem Vorplatz, der sich endlos vor den Augen erstreckt, ebenso wie dieser riesige grüne Palast mit seinen Skulpturen und Verschnörkelungen, um den man herumgeht und schnellen Fußes mindestens eine halbe Stunde benötigt, stehen Kutschen und Menschen in Kostümen, die bekleidet mit den Prachtgewändern vergangener Zeit herumstolzieren. Man kann sich mit ihnen fotografieren lassen, gegen Aufpreis, das versteht sich von selbst. Die Kleider der holden Weiblichkeit sind wunderschön verziert.
Der Platz wird bereits vorbereitet, ein Konzert wird stattfinden, bis die weißen Nächte zu jener Nacht werden, in der sämtliche Schüler und Studenten von ganz St. Petersburg ihre Abschlüsse feiern, die Nacht zum Tage wird und die gesamte Stadt auf den Beinen ist, um das Schiff mit den roten Segeln zu bewundern.
Weiter zu
Teil 4
|