1. Foucault beschreibt in seinem Werk "Wahnsinn & Gesellschaft" die Entstehung des Wahnsinns. Was mir besonders gefällt, ist die Verbindung zur Kunst. Zum Beispiel "Das Narrenschiff" von Bosch, wo der Wahnsinn sich langsam etablierte und der Narr als einzig "Vernünftiger" zwischen der lüsternden, sündigen Meute sitzt.
(Eustache Deschamps) Eulenspiegel, zum Beispiel, gilt so als der erste Individualist, der zwar aus der Reihe tanzt, aber dabei wesentlich "vernünftiger" und klüger erscheint. Wo zunächst der Wahnsinn als Abweichung von der Norm besteht, wächst er ganz langsam zu einer Art Trend heran. Das Streben nach Exzentrik. Die Menschen sind so notwendig verrückt, dass nicht verrückt sein nur hieße, verrückt sein nach einer anderen Art von Verrücktheit. (Pascal) Vor dem Wahnsinn war die Lepra die gefürchteste Krankheit. Dem Leprakranken wurde vermittelt, dass Gottes Gnade ihn durch diese Krankheit für seine Sünden bestraft, dass er dafür dankbar sein soll. Und dem gesunden Menschen wurde eingeredet:
Hier sieht man die Kirche, die nicht Hilfe bietet, sondern den Menschen noch dazu ermutigt, gnadenlos zu sein, die den Sünder also insoweit nur sündigen lässt, dass er es dabei schafft, sich selbst gut zu fühlen und sich einzureden, richtig zu handeln. Überhaupt ist der Mensch mit der Krankheit konfrontiert, und soll sie als Abweichung begreifen. Unzählige Krankenhäuser werden eröffnet, wo die Kranken zusammengefercht werden, und nachdem die Lepra wieder verschwunden ist, werden die "Aussätzigen" durch andere "Aussätzige" ersetzt.
Nach der Lepra treten in Überzahl die Geschlechtskrankheiten zutage. Danach breitete sich der Wahnsinn aus. Die Narrenschiffe aber existierten wirklich. Die einzelnen Städte behielten nur ihre eigenen Irren und schifften alle fremden Irren ganz einfach per Schiff aus der Stadt. Der Irre zog damals von Stadt zu Stadt, war also ein Weltenbummler, ein Herumtreiber. Dann aber wurde auf einmal die ganze Welt als verrückt erklärt.
Oder eben dieser in folgender Betrachtung: Wenn Sie, meine Herren, (gleich dem Menippus beym Lucian) das unzählbare Gewirre der Sterblichen vom Monde herab sehen könnten, so würd es Sie dünken, Sie sehen Heere von Mücken oder Schnaken, die sich unter einander erzanken, bekriegen, belauern, berauben, spielen, Muthwillen treiben, gebohren werden, fallen, sterben. Es ist nicht zu ersagen, wie viel verwirrtes Gezeug und Unheil ein so kleines und hinfälliges Tierchen stifte. Foucault wirft auch die Schwierigkeiten der Psychiatrie auf, den Wahnsinnigen überhaupt zu begreifen.
Daraus folgt:
2. Wahnsinn entsteht erst im Vergleich zur Vernunft, und mit der Vernunft wird erst die Abkunft aus dieser sichtbar.
Wenn Artaud sagt:
... dann zeigt sich damit die Tragik des auf einmal Sichtbaren (oder durch die Vernunft sichtbar Gemachten) in der Enthüllung einer neuen Erscheinungsform, nämlich der Selbsterkenntnis, die, im Vergleich mit der Welt und Gott, ihren eigenen Abgrund der Unvernunft erkennt. Hier verdeutlichen sich die zwei Seiten, zeigen, dass „alle menschlichen Dinge von innen ein anderes Gesicht haben, als von außen“.
(Erasmus)
Und in dieser Erkenntnis liegt ebenso die Bedingung, dass jeder, der Vernunft in sich trägt, auch den Schein des Wahnsinns in sich entdecken muss, durch den er, wenn entdeckt, wieder in die Vernunft zurückfindet. Und darüber hinaus sieht der Mensch im Vergleich seiner selbst mit dem Höheren, mit seinem Glauben an Gott und dessen Vollkommenheit sich selbst ins Chaos und sein Wesen in den Wahnsinn gestürzt.
Hinzu kommt eine weitere Erkenntnis: Wenn der Mensch das Erkennbare aufgibt, wird seine Seele wie geisteskrank. Wenn der Mensch sich mit Gott beschäftigt und diesen Weg zu Gott anstrebt, dann ist er überall mit dem Wahnsinn konfrontiert, dem Zuwiderhandeln und auch der eigenen „Nichtfassbarkeit“. „Herr, dein Rat ist ein zu tiefer Abgrund!“ sagte Erasmus. Zusammengefasst heißt das, dass im Verhältnis zur Weisheit die Vernunft des Menschen reiner Wahnsinn ist, und dass im Verhältnis zur geringen Weisheit des Menschen „die Vernunft Gottes in die essentielle Bewegung des Wahnsinns miteingeschlossen ist“. Oder anders:
Wahnsinn und Literatur Im achtzehnten Jahrhundert, insbesondere nach Rousseau herrscht der Aberglaube vor, dass Literatur und Theatervorstellungen wahnsinnig machen würden.
Darum ist es nicht verwunderlich, dass der Künstler aus dem Handwerker zum schillernden Geschöpf geriet. Der Künstler zeigt die aus der Ordnung geratene und individuelle Phantasie, von der behauptet wird:
In dieser Annahme wächst der Wahnsinn dann auch zum Größenwahnsinn heran. (Ein erneuter Trend?) Darin findet sich auch der „Wahn der gerechten Strafe“, dass ein Mensch, in der Selbstbestrafung schon vorwegnimmt, wo er landen könnte, wenn er alleine nur etwas Schlechtes denkt. Das schlechte Gewissen als Wahn. Der Mensch leidet hier unter sich selbst und der Vorwegnahme seines Schmerzes, den er verspüren könnte und würde, falls er so und so handelt. Damit dreht er sich dann um sich selbst. Bei Cervantes und Shakespeare z. B. nimmt der Wahnsinn noch eine Stellung ein, dass jede Art von Wahnsinn unweigerlich in den Tod führt. Zuerst landet die Figur in ihrer Zerrissenheit und endet grundsätzlich in der Ausweglosigkeit. Danach wandelt sich die Literatur, der Wahnsinn wird Tarnung oder ersetzt einen Verlust oder wird zur „liebenswerten Eigenart“. Er gerät zum Spiel und verliert seinen Ernst. Interessant auch, wie Foucault hier wieder zurückspringt und diese ganze „Gefangenschaft“ aufzeigt, die nach dem Austausch von Aussätzigen durch neue Aussätzige (s.o.) überall erfolgt ist. Aus geistlicher Sicht wurde das ganze Elend, das sich am Ende des sechzehnten und am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts überall ausbreitete, als Bedrohung aufgefasst, als Vorwarnung auf eine mögliche Apokalypse. Die Internierungsanstalten wurden hauptsächlich zur Beseitigung von Bettlerei und Müßiggang erschaffen, dass der Mensch nicht mehr verbannt oder vertrieben, sondern ihm Anspruch auf Verpflegung ermöglicht wurde, unter der Bedingung, dass er damit den Zwang der Internierung auf sich nahm und seine Freiheit aufgab. Damit wurde dann eine Art „Hartz IV“ ins Leben gerufen, da die Menschen nicht einfach nur eingefercht bleiben konnten, um sich hier weiterhin ihrem Müßiggang zu ergeben, sondern sie wurden zur Arbeit gezwungen, von der sie lediglich ein Viertel Lohn erhielten, während die Anstaltsführenden daran verdienten. So ließ sich dann leicht an billige Arbeitskräfte kommen und mit dieser „neuen Nützlichkeit“ sollte auch ein neuer Schutz der Gesellschaft vor Agitation und Aufständen gewährleistet sein. Gerechtfertigt wurden diese Einrichtungen ganz simpel mit der Moral. Gleichzeitig wird mit diesen staatlich und kirchlich festgelegten Maßnahmen gegen die Bettlerei und den Müßiggang deutlich, dass die Arbeit nicht Teil der Natur selbst ist, sondern dass die Wirksamkeit der Arbeit dadurch anerkannt wird, weil man sie auf „ethische Transzendenz gründet“.
Müßiggang galt seit dem Mittelalter als Hauptsünde, er war der Hochmut, der höchste Stolz „des einmal gefallenen Menschen, der lächerliche Stolz des Elends“. Die Krankenhäuser, die eher einem Gefängnis gleichen, sollten darum auch die „Bettelei und (den) Müßiggang als Ursprung aller Unordnungen“ verhindern. Die Faulheit war damit eine „zweite Revolte der Kreatur gegen Gott“, und die Internierungshäuser erhielten ihre ethische Bedeutung und ihre Rechtfertigung für die „Unterdrückung“, obwohl sie den Müßiggänger aus der „unbegrenzten Muße in eine nutz- und fruchtlose Mühsal der Arbeit“ drängten. Und in diese aus dem Nichtstun in die Arbeit gedrängten Räume hielt dann irgendwann der Wahnsinn seinen Einzug, in ein Haus, dass sich eine moralische Verantwortung anmaßte, um sich selbst zu rechtfertigen.
Mit diesen Maßnahmen findet sich der Wahnsinn aus der einstigen Freiheit des Wahnsinns eines Don Quichotte nun eingeschlossen und in der „Festung der Internierung mit der Vernunft, den Regeln der Moral und ihren monotonen Nächten verbunden“ wieder.
Im Grunde will Foucault hier aufzeigen, dass diejenigen, die auf ein weit zurückreichendes Vorhandensein an Geisteskrankheiten insistieren, nicht mit einbeziehen, welchen Stellenwert der Wahnsinn im Laufe der Zeit hatte, dass die Geisteskrankheit tatsächlich nicht als Krankheit gesehen wurde, sondern als Unvernunft . Die Weiterentwicklung von Gefängnissen und Anstalten war nämlich in etwa die gleiche, weil hier ab einem bestimmten Zeitpunkt grundsätzlich darauf geachtet wurde, dass den Gefangenen eine gute Behandlung zuzukommen sei, zumindest ein täglicher Blick auf ihr Befinden. Manche Geisteskranken wurden tatsächlich gesondert untergebracht, wodurch sie aber nicht das Privileg einer Krankheit erhielten. Vielmehr waren diese Anordnungen getroffen, weil das Zusammenleben so vieler Menschen und den darunter aufkommenden Verwirrungen und oftmals Schreien und Gewaltausbrüchen der Geisteskranken nicht funktionierte. Es gab sogar Räume mit „Ketten für die Irren“. Die meisten Menschen wurden einfach unter dem Begriff „Tollheit“ eingeordnet, was nicht unterschied, ob hier jemand krank oder ein Verbrecher war. Die „wirklich“ Wahnsinnigen galten sogar als unheilbar und erhielten keinerlei Behandlung. Man überließ sie in ihrer „Gefangenschaft“ einfach sich selbst. Das Bewusstsein vom Wahnsinn besteht nur auf dem Hintergrund des Bewussteins, nicht wahnsinnig zu sein.
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Was interessant ist: Der Wahnsinn wurde durchaus schon in seinen verschiedenen Erscheinungsformen erkannt.
(Alle Zitate stammen aus Foucault "Wahnsinn und Gesellschaft" , Suhrkamp Verlag) |