Iwan Gontscharow
"Oblomow"
Viele meinen, er hätte nur ein Buch geschrieben, aber das stimmt nicht ganz. Auf jeden Fall war er ein Mensch, der sich gegen Ende des Lebens verbittert vor der Welt zurückzog, auch aufgrund der schlechten Kritik, die einigen seiner Werke zuteil wurde. Natürlich ist "Oblomow" sein bekanntestes Werk. Gontscharow wurde am 18. Juni 1812 in Simbirsk geboren und starb dann am 27. September 1891 in Sankt Petersburg. Er wuchs als Sohn eines reichen Getreidehändlers auf, schloss seine Ausbildung 1834 an der Universität Moskau ab und diente danach 30 Jahre lang in Sankt Petersburg als kleiner Beamter, ab 1856 als Zensor, später in der obersten Pressebehörde. Der Konflikt zwischen dem Reichtum der Adligen und der aufsteigenden Klasse der Kaufleute beschäftigte Gontscharow. Sein erstes Werk "Eine alltägliche Geschichte" setzt sich damit auseinander, aber auch in "Oblomow" entdeckt man Andeutungen. Diese Figur ist in Rußland sprichwörtlich geworden und steht für diese Trägheit, die Unfähigkeit, seine Träume zu verwirklichen. "Sein oder Nichtsein" - Oblomow entscheidet sich für das Nichtsein. Genauer finden wir hier einen trägen Mensch, der sich damit begnügt, seine Vorstellungen und Taten erst einmal in Ruhe und über Jahre hinweg zu durchdenken, der keine Ansprüche, keine Sehnsüchte hat, umgeben von einem Diener, der es ihm gleichtut, der knurrt, wenn man ihm einen Befehl gibt, der aus Gewohnheit und übernommenem Erbe auf seinen Herrn schimpft, gemeinsam in einem Haus lebend, das wie das Haus eines Verstorbenen wirkt, da Oblomow kaum das Bett verlässt. Die Möbel und Wände eingestaubt, nur ein Zimmer nutzend, verbringen sie ihre Tage. Oblomow entwirft einen Wirtschaftsplan, um das Chaos und die immer schlechter werdende Ernte seines Guts zu kontrollieren (er könnte auch einfach hinfahren und schnell alles neu arrangieren, doch dafür müsste er reisen), und der faule Anblick seiner selbst ist scheinbar trügerisch, denn er liegt zwar, aber er denkt doch und verlagert mit seinen Gedanken auch ein bisschen seine Haltung. Wenn er also mit den geschäftlichen Gedanken beginnt, guckt er zunächst angespannt …
- Dann erst entschloss er sich, von der getanen Arbeit auszuruhen, vertauschte die besorgte Pose gegen eine weniger geschäftsmäßig strenge, die sich für Träume und ein bequemes Vorsichhindämmern besser eignete.
Hier zusammen mit Oblomow in diesen traurig müßigen Alltag zu tauchen, im Diener die Faulheit zu erkennen, während man ihm dagegen zugute halten muss, dass er für seinen Herrn jederzeit, ohne es für etwas Besonderes zu halten, durchs Feuer gehen würde, den Besuch gemeinsam zu empfangen, dabei ein ewiger und stets vergeblicher Versuch, den schon aufgeschwemmten Mann aus dem Haus zu locken, ist trotzdem ein Vergnügen. Sich hier vor Augen zu halten, dass der Diener ohne zu überlegen in den Tod gehen würde, während er den Lebenden mit einem Knurren behandelt, ist amüsant. Oblomow empfängt viele Leute, ist aber darüber nicht gerade erfreut. Nur Stolz, ein Deutscher, ist sein Freund seit Kindertagen, doch ist dieser leider nicht allzu oft in St. Petersburg. Andere wollen ihn immer nur mit dem wirklichen Leben konfrontieren, was er ablehnt. Überhaupt hat er alles hinter sich gelassen, seine Tätigkeit als Beamter, den Besuch auf seinem vom Vater geerbten Gut, die Vergnügungen und gesellschaftlichen Zusammenkünfte. Nun fragt man sich als Leser, ob dieser träge Mensch wenigstens andere Beschäftigung hat, aber da wird man dann eher enttäuscht. Etwas Vorgenommenes wird meistens mit absurd ausgedehnten Überlegungen behaftet und in allen möglichen Hinterfragungen schließlich verworfen oder wenigstens aufgeschoben. Überhaupt diese Neigung, ein einfaches Vorhaben von allen Seiten und bis in das unnötigste Detail zu erörtern, um dann mit einem Stöhnen nicht voranzukommen, verdeutlicht gut, warum Oblomow lieber liegt als handelt. Zum Beispiel muss Oblomow seine Wohnung verlassen, und alleine der Gedanke an diese ganze "Bewegung" stürzt ihn in den größten Kummer. Die Beschreibung Oblomow ist sehr humorig gestaltet, hier zum Beispiel:
- Wenn ihm aber Stolz Bücher brachte, die noch über das Gelernte hinaus durchstudiert werden mussten, so pflegte ihn Oblomow lange schweigend anzublicken.
Selten erlebt man einen Menschen, der so viel Angst vor der Bewegung hat, doch resultiert dieses Verhalten, wie man dann erfährt, aus der Vergangenheit. Gontscharow gestaltet den Rückblick als Oblomows Traum, wo er sich als Kind auf dem Gut seines Vaters wiederfindet. Hier nun wird offensichtlich, woher diese Trägheit stammt, denn das ganze Gut bedient sich der eher langsamen Bewegung, der Vater sitzt und gibt höchstens unsinnige Anweisungen, die dabei keine Anweisungen sind, sondern lediglich kurze Unterbrechungen der Tätigkeiten seiner Bediensteten. Die Mutter verhätschelt das Kind, indem sie allerlei Besorgnis an den Tag legt, und die Amme erzählt Märchen, an die selbst die Erwachsenen noch glauben. Oblomow trägt dieses Erbe mit sich herum und ab und zu überfällt ihn eine tiefe Traurigkeit, dass sein Leben anders verläuft, als das anderer Menschen. Wenn er sich diesen Vergleich bewusst macht, ist er schwer erschüttert. Der Diener, der zu sagen wagt, dass andere Menschen es doch auch schaffen, hinterlässt bei Oblomow völlige Empörung, und in einer sinnlosen Auseinandersetzung, bei der er seine eigenen Vorteile hervorheben möchte, die eigentlich dann aber auf ganzer Linie nur schlechte Eigenschaften sind, versucht er seinem armen Diener, der natürlich gar nichts versteht, eines Besseren zu belehren. Hier lässt sich diese völlige Verblendung sehr gut begreifen. Oblomow ist ein Anti-Hamlet, eine Gestalt, die dem Leser gehörig auf die Nerven geht. Selbst die Liebe vermag ihn nur kurzzeitig aufzuwecken. Dann ist es auch kein Wunder, dass in Rußland der Begriff "Oblomow" für die Erstarrung und Passivität einer untergehenden Gesellschaft steht.
© Annelie Jagenholz
(Alle Zitate sind der Ausgabe Iwan Gontscharow "Oblomow", Insel Verlag)
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